Journal De Bruxelles - Merkels Memoiren: Ex-Kanzlerin rechtfertigt Russland-Politik

Börse
SDAX -0.46% 13528.84
Euro STOXX 50 -0.34% 4862.28
DAX -0.43% 19884.75
TecDAX -0.56% 3413.81
MDAX 0.48% 25549.77
Goldpreis 1.23% 2640.5 $
EUR/USD 0.64% 1.0434 $
Merkels Memoiren: Ex-Kanzlerin rechtfertigt Russland-Politik
Merkels Memoiren: Ex-Kanzlerin rechtfertigt Russland-Politik / Foto: Alexander Zemlianichenko - POOL/AFP/Archiv

Merkels Memoiren: Ex-Kanzlerin rechtfertigt Russland-Politik

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in ihren Memoiren ihre vielfach kritisierte Russland-Politik verteidigt. Merkel rechtfertigte insbesondere ihre Weigerung aus dem Jahr 2008, der Ukraine und Georgien den Status eines Nato-Beitrittskandidaten einzuräumen - und damit ein Stück weit auf Bedenken Russlands eingegangen zu sein: "Die Aufnahme eines neuen Mitglieds sollte nicht nur ihm ein Mehr an Sicherheit bringen, sondern auch der Nato", schrieb Merkel in ihrem Erinnerungsbuch "Freiheit", aus dem "Die Zeit" am Donnerstag einen Auszug veröffentlichte.

Textgröße:

An Merkels Russland-Politik gibt es inzwischen viel Kritik. Der früheren Kanzlerin wird vorgeworfen, zu beschwichtigend gegenüber Russland aufgetreten zu sein. Einige Kritiker argumentieren, die Ukraine wäre von späteren russischen Aggressionen verschont geblieben, wenn die Nato sie 2008 - wie von der damaligen ukrainischen Regierung gewünscht - offiziell als Beitrittskandidat anerkannt hätte.

Merkel begründete ihre Entscheidung von damals mit Sicherheitsbedenken. "Ich verstand den Wunsch der mittel- und osteuropäischen Länder, so schnell wie möglich Mitglied der Nato zu werden, denn sie wollten nach dem Ende des Kalten Kriegs zur westlichen Gemeinschaft gehören", schrieb sie in ihren Erinnerungen, die nächste Woche erscheinen sollen. "Es stand außer Zweifel, dass Russland diesen Ländern nicht das bieten konnte, wonach sie sich sehnten: Freiheit, Selbstbestimmung, Wohlstand."

Doch zugleich hätten die Nato und ihre Mitgliedstaaten bei jedem Erweiterungsschritt die möglichen Auswirkungen auf das Bündnis prüfen müssen - "auf seine Sicherheit, Stabilität und Funktionsfähigkeit".

Im Fall der Ukraine habe es damals die Besonderheit gegeben, dass die Schwarzmeerflotte der russischen Marine auf der ukrainischen Halbinsel Krim stationiert gewesen sei. "Eine solche Verquickung mit russischen Militärstrukturen hatte es bislang bei keinem der Nato-Beitrittskandidaten gegeben", schrieb Merkel. "Außerdem unterstützte damals nur eine Minderheit der ukrainischen Bevölkerung eine Mitgliedschaft des Landes in der Nato."

Natürlich gebe es in der Frage eines Bündnis-Beitritts "kein Vetorecht eines Dritten außerhalb der Nato, auch nicht für Russland", schrieb Merkel weiter. "Es konnte umgekehrt aber auch keinen Automatismus einer Zusage geben, wenn ein Land um die Mitgliedschaft bat."

Sie habe es für eine "Illusion" gehalten, dass der Nato-Beitrittsstatus "der Ukraine und Georgien Schutz vor Putins Aggression gegeben hätte, dass also dieser Status so abschreckend gewirkt hätte, dass Putin die Entwicklungen tatenlos hingenommen hätte", schrieb Merkel - und warf die Frage auf: "Wäre es damals im Ernstfall vorstellbar gewesen, dass die Nato-Mitgliedstaaten militärisch - mit Material wie mit Truppen - geantwortet und eingegriffen hätten?"

Am Ende habe sie dann beim Nato-Gipfel 2008 in Bukarest auf einen Kompromiss hingewirkt, schrieb Merkel. Dass Georgien und die Ukraine damals keine Zusage für einen Beitrittsstatus bekamen, "war für sie ein Nein zu ihren Hoffnungen", räumte Merkel ein. "Dass die Nato ihnen zugleich eine generelle Zusage für ihre Mitgliedschaft in Aussicht stellte, war für Putin ein Ja zur Nato-Mitgliedschaft beider Länder, eine Kampfansage", fuhr sie fort.

"In einem anderen Zusammenhang, an den ich mich im Einzelnen nicht mehr erinnere, sagte er später einmal zu mir: 'Du wirst nicht ewig Bundeskanzlerin sein. Und dann werden sie Nato-Mitglied. Und das will ich verhindern'", schrieb Merkel mit Blick auf den russischen Präsidenten. "Und ich dachte: Du bist auch nicht ewig Präsident. Dennoch waren meine Sorgen über zukünftige Spannungen mit Russland in Bukarest nicht geringer geworden."

M.Kohnen--JdB