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Merz strebt ins Kanzleramt - FDP und BSW verfehlen Einzug in Bundestag
Deutschland steht vor einem Machtwechsel: CDU-Chef Friedrich Merz kündigte nach dem Sieg der Union bei der Bundestagswahl am Sonntag Gespräche über die rasche Bildung einer Regierung unter seiner Führung an. Rechnerisch wäre eine Mehrheit mit der SPD möglich, die unter Bundeskanzler Olaf Scholz ihr bislang schlechtestes Ergebnis im Bund holte. Sie fiel hinter die AfD zurück, die bei der Wahl auf Platz zwei kam. Grüne und Linke sind ebenfalls im neuen Bundestag vertreten, FDP und BSW nicht.
Merz strebt nun nach eigenen Worten eine rasche Übernahme des Amts des Bundeskanzlers an: "Ich habe den Wunsch, dass wir spätestens Ostern mit einer Regierungsbildung fertig sind." Er wolle dabei mit allen "Parteien der demokratischen Mitte" sprechen. Führende SPD-Vertreter zeigten sich offen für Koalitionsgespräche mit der Union.
Kanzler Scholz deutete am Wahlabend persönliche Konsequenzen an. Bei möglichen Koalitionsgesprächen mit der CDU/CSU werde er "nicht der Verhandlungsführer der SPD" sein, sagte Scholz in der ARD. Er stehe für kein anderes Regierungsamt zur Verfügung als für das Amt des Bundeskanzlers.
Noch am Abend der Wahl stellte die SPD erste personelle Weichen: Parteichef Lars Klingbeil soll zusätzlich die Führung der SPD-Bundestagsfraktion übernehmen. Dies habe das SPD-Präsidium bei einer Sitzung am Sonntagabend "einstimmig vorgeschlagen", sagte Klingbeil in den ARD. Seine Ko-Parteichefin Saskia Esken werde im Amt bleiben. Der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich trete nicht mehr an.
Der langjährige FDP-Chef Christian Lindner kündigte bereits am Wahlabend seinen Abschied aus der Politik an, nachdem seine FDP den Wiedereinzug in den Bundestag verpasste - nach 2013 zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. "Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus", schrieb er im Onlinedienst X.
AfD-Chefin Alice Weidel wertete die massiven Zugewinne ihrer Partei als "historisches Ergebnis". Damit habe sich die AfD "als Volkspartei nun fest verankert". Weidel zeigte sich zu einer Regierungsbeteiligung bereit: "Unsere Hand wird immer ausgestreckt sein", sagte sie. Weil alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen, wird die in Teilen rechtsextremistische Partei weiter in der Opposition bleiben.
Bei der Abstimmung über den 21. Deutschen Bundestag kam es zu massiven Verschiebungen in der Wählergunst. Größte Gewinnerin ist mit einem Zuwachs von 10,4 Prozentpunkten die AfD. Größte Verliererinnen sind mit einem Minus von über 9,2 Punkten die SPD und die FDP mit einem Minus von 7,1 Punkten.
Dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge wurde die Union mit 28,6 Prozent stärkste Kraft. Es folgen die AfD mit 20,8 Prozent, die SPD mit 16,4 Prozent, die bislang mit der SPD regierenden Grünen mit 11,6 Prozent und die Linke mit 8,8 Prozent. Die FDP blieb mit 4,3 Prozent klar unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Das BSW von Sahra Wagenknecht verfehlte den Einzug mit 4,972 Prozent nur äußerst knapp. Für ein Überschreiten der Fünf-Prozent-Hürde fehlten dem BSW etwa 13.000 Stimmen. Wäre das BSW in den Bundestag gekommen, hätte sich die Union für eine Regierungsbildung zwei Koalitionspartner suchen müssen.
Grünen-Kanzlerkandidat Habeck bezeichnete das Ergebnis für seine Partei als "durchwachsen". "Ich wollte mehr, wir wollten mehr", sagte Habeck. Insbesondere der Linken sei es besser gelungen, bei "jungen, progressiven Leuten" zu punkten.
SPD-Chef Klingbeil stellte angesichts des schlechten Ergebnisses seiner Partei eine personelle Neuaufstellung in Aussicht. Er sprach von einer "Zäsur" und der Notwendigkeit eines "Generationenwechsels". Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der als Anwärter auf hohe SPD-Ämter gilt, sprach von einem "niederschmetternden, katastrophalen Ergebnis".
SPD-Ko-Parteichefin Esken rief die Union auf, mit Kompromissbereitschaft auf ihre Partei zuzugehen: "Wenn das möglich ist, werden wir uns dieser Verantwortung nicht entziehen", sagte sie im ZDF.
Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek äußerte sich "unfassbar dankbar" über das Erstarken ihrer Partei, die unter den Erstwählern zur stärksten Kraft geworden war. Sie kündigte an, die Linke werde sich nun im Bundestag für politische Veränderungen einsetzen, "ob wir in der Opposition oder in der Regierung sind, ist egal".
Dem neuen verkleinerten Bundestag werden 630 Abgeordnete angehören. Auf CDU/CSU entfallen laut vorläufigem Endergebnis 208 Sitze. Gemeinsam mit der SPD (120 Sitze) käme sie im Bundestag auf eine Mehrheit.
Die AfD erhält 152 Sitze, die Grünen 85 Sitze und die Linke 64 Sitze. Hinzu kommt ein Sitz für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist.
Die Wahlbeteiligung stieg stark an und erreichte 82,5 Prozent. Dies ist der höchste Wert seit der Wahl von 1987. Bei der letzten Bundestagswahl lag die Wahlbeteiligung bei 76,4 Prozent.
R.Verbruggen--JdB