Schüsse und Explosionen: Israelische Armee setzt Einsatz im Westjordanland fort
Einen Tag nach dem Beginn eines israelischen Armeeeinsatzes in Dschenin im Westjordanland hat sich die Lage verschärft. "Die Situation ist sehr schwierig", sagte der Gouverneur der Stadt, Kamal Abu al-Rub, am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. In der Flüchtlingssiedlung in Dschenin waren Schüsse und Explosionen zu hören. Im israelischen Tel Aviv wurden am Dienstagabend bei einem Messerangriff fünf Menschen verletzt. Die Polizei erschoss den mutmaßlichen Angreifer.
Israelische Soldaten hätten in Dörfern bei Dschenin 20 Menschen festgenommen, sagte al-Rub weiter. "Die Besatzungsarmee hat mit Bulldozern alle Straßen, die zum Lager Dschenin und zum Krankenhaus führen, zerstört", fügte er hinzu. Rund 200 Menschen seien im Innenhof des Krankenhauses von Dschenin eingeschlossen.
Dabei handele es sich um eine Sicherheitsmaßnahme während der Entschärfung von Sprengkörpern, sagte der Sprecher der israelischen Armee, Nadav Schoschani. Bis wann diese gelte, sagte er nicht. Es gebe keine Evakuierungsaufforderung für Dschenin, "aber alle Zivilisten, die dies wünschen, können die Stadt verlassen", fügte er hinzu.
Auf einer der wichtigsten Straße in Dschenin waren Überwachungskameras aufgebaut worden, wie ein AFP-Reporter beobachtete. Einige Passanten wurden von israelischen Sicherheitskräften kontrolliert.
Bei dem seit Dienstag laufenden Einsatz der israelischen Armee wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mindestens zehn Menschen getötet und 35 weitere verletzt.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, er sei "sehr besorgt" über die Lage im Westjordanland. Die Bundesregierung rufe alle Parteien zur Zurückhaltung auf.
Die israelische Armee bestätigte am Mittwoch den Tod von "zehn Terroristen". Sie habe Luftangriffe auf "terroristische Infrastruktur" ausgeführt, teilte die Armee mit. Zudem seien "zahlreiche Sprengkörper" entschärft worden, die von militanten Palästinensern an Straßen platziert worden sein. "Die israelischen Streitkräfte setzen den Einsatz fort", hieß es weiter.
Israels Verteidigungsminister Israel Katz erklärte, der Einsatz sei "entscheidend" für die "Eliminierung von Terroristen" im Lager Dschenin. Die israelischen Streitkräfte würden die Entstehung einer neuen "Terrorfront" dort nicht zulassen.
Die israelische Armee und der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet hatten am Dienstag mitgeteilt, dass sie in Abstimmung mit der Grenzpolizei den Einsatz "Iron Wall" ("Eiserne Mauer") gestartet hätten. Das Vorgehen sei Teil einer Strategie gegen den Iran.
Der Iran unterstützt bewaffnete Gruppen im gesamten Nahen Osten, darunter die radikalislamische Hamas im Gazastreifen. Israel wirft Teheran vor, auch militante Palästinensergruppen im Westjordanland finanziell und mit Waffenlieferungen unterstützen zu wollen. Dschenin und das dort liegende Flüchtlingslager gelten als Hochburg für militante Palästinensergruppen. Israelische Sicherheitskräfte gehen immer wieder gegen sie vor.
Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober 2023 habe es "über 2000 versuchte Terroranschläge" gegeben, die vom Westjordanland aus geplant worden sein, sagte Armeesprecher Shoshani. Der neue Einsatz in Dschenin ziele darauf ab, "hunderte" Angriffe in "Judäa und Samaria sowie im Rest Israels" zu verhindern, fügte er unter Verwendung der biblischen Namen hinzu, die Israel für die besetzten Gebiete im Westjordanland verwendet.
Für viele Israelis ist das Westjordanland die Wiege des jüdischen Volkes. Für die Palästinenser ist das Westjordanland zusammen mit dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem jedoch wesentlicher Bestandteil des von ihnen geforderten souveränen Palästinenserstaates.
Israel eroberte das Gebiet im arabisch-israelischen Krieg 1967 und hält es seitdem besetzt. Inmitten von drei Millionen Palästinensern leben mehr als 490.000 Israelis im Westjordanland in völkerrechtlich illegalen Siedlungen, die immer weiter ausgebaut werden.
Die Befürworter einer israelischen Annexion des Westjordanlands hoffen nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident am Montag auf Unterstützung für ihre Pläne. Als einer der ersten Schritte nach seiner Vereidigung hob Trump die US-Sanktionen gegen dortige Siedler auf.
Die EU werde diesem Beispiel nicht folgen und an den Sanktionen festhalten, sagte der Außenamtssprecher in Berlin. "Wir werden die Siedlergewalt weiter im Blick behalten", fügte er hinzu.
Der durch den Großangriff der radikalislamischen Hamas und verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöste Krieg im Gazastreifen hatte auch die Gewalt im Westjordanland verstärkt aufflammen lassen. Dem palästinensischen Gesundheitsministerium zufolge töteten israelische Soldaten oder Sieder seit Oktober 2023 mindestens 848 Palästinenser. Offiziellen israelischen Angaben zufolge wurden im selben Zeitraum bei palästinensischen Angriffen mindestens 29 Israelis getötet. Im Gaza-Krieg gilt seit Sonntag eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas.
Auf israelischem Boden wurden am Dienstag bei einem Messerangriff in der Metropole Tel Aviv fünf Menschen. Der mutmaßliche Angreifer wurde den Behörden zufolge erschossen. Es handelte sich demnach um einen 28-jährigen Ausländer, der bei seiner Einreise zunächst befragt und dann als ungefährlich eingestuft worden sei. Innenminister Moshe Arbel wies den Inlandsgeheimdienst an, "diesen schweren Vorfall zu untersuchen und so schnell wie möglich daraus zu lernen".
Die Hamas lobte den Messerangriff als "heldenhafte Messerattacke", die zeige, dass der Widerstand gegen Israel zunehme. Die Hamas reklamierte den Angriff allerdings nicht für sich.
D.Verheyen--JdB