Baerbock und französischer Kollege dringen in Syrien auf friedlichen Machtübergang
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr französischer Kollege Jean-Noël Barrot sind am Freitag in Damaskus mit der neuen, islamistischen Führung zusammengetroffen. Beide wurden vom neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa empfangen und drangen auf einen friedlichen und alle Bevölkerungsgruppen umfassenden Übergang. Zuvor besuchten die Außenminister das berüchtigte Saidnaja-Gefängnis nahe Damaskus.
Deutschland wolle Syrien helfen bei einem "inklusiven friedlichen Machtübergang, bei der Versöhnung der Gesellschaft, beim Wiederaufbau", erklärte Baerbock. Dazu gehöre die Gleichberechtigung der Frauen und von allen ethnischen oder religiösen Gruppen.
Baerbock war am Morgen kurz nach ihrem französischen Kollegen Barrot in Damaskus eingetroffen. Beide reisten in enger Absprache und im Namen der EU mit dem Mandat der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, wie ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin sagte.
Der Chef der islamistischen Übergangsregierung, al-Scharaa, empfing Baerbock und Barrot im Präsidentenpalast. Unter der Führung von al-Scharaas islamistischer Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) war am 8. Dezember der langjährige syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt worden. Auch er hatte seine Gäste stets im Präsidentenpalast empfangen.
Baerbock und Barrot sind die ersten Außenminister großer westlicher Staaten, die von der neuen syrischen Führung empfangen wurden. Die Außenministerin wurde vom Sonderkoordinator des Auswärtigen Amtes für Syrien, Staatsminister Tobias Lindner, begleitet.
Die Reise sei "ein klares Signal an die Syrerinnen und Syrer: Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich", erklärte Baerbock zu Beginn ihrer Reise. "Mit dieser ausgestreckten Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die neuen Machthaber, reisen wir heute nach Damaskus", erklärte sie.
Deutschland wisse, "wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat", erklärte Baerbock mit Blick auf die Islamisten in Syrien. "Wir hören und sehen aber auch den Wunsch nach Mäßigung und nach Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren." "Bei aller Skepsis" werde die Bundesregierung "die HTS weiter an ihren Taten messen", kündigte die Außenministerin an.
"Jahrzehnte der Unterdrückung, der Gräuel des Assad-Regimes und sein furchtbarer Bürgerkrieg haben enorme Wunden bei Millionen Menschen in Syrien geschlagen", erklärte Baerbock. Ein ganzes Land sei davon gezeichnet und schöpfe gleichzeitig nun berechtigte Hoffnung, dass die Zukunft besser werde. Allen sei aber klar, "dass das ein steiniger Weg wird".
"Gemeinsam stehen Frankreich und Deutschland an der Seite des syrischen Volkes, in all seiner Vielfalt", erklärte Barrot im Onlinedienst X. Beide Länder wollten "einen friedlichen und anspruchsvollen Übergang im Dienste der Syrer und für die regionale Stabilität unterstützen".
Zum Auftakt ihres Besuchs in Syrien besuchten Baerbock und Barrot das Saidnaja-Gefängnis in der Nähe von Damaskus. Bei ihrem Besuch in der unter dem gestürzten Staatschef Assad berüchtigten Haftanstalt wurden die beiden Chefdiplomaten von Vertretern der syrischen Zivilschutzorganisation Weißhelme begleitet. Gemeinsam besichtigten Baerbock und Barrot die unterirdischen Zellen und Kerker, in denen viele Insassen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und zu Tode gefoltert wurden.
"Wenn ich heute hier sehe, was die Menschen in dieser Hölle, in diesem Höllengefängnis, durchgemacht haben, dann wird deutlich, wie wichtig Ihre Arbeit war", sagte Baerbock an die Weißhelme gewandt. Deutschland hat die Weißhelme ab 2016 unterstützt.
Es sei wichtig gewesen, "auf die Stimmen der freien Menschen in Syrien zu hören" wie die der Weißhelme. Diese hätten "unterstrichen, was für ein Regime das Assad-Regime war, das Folter angewandt hat, die sich niemand vorzustellen vermochte". Nun sei es an der internationalen Gemeinschaft zu helfen - "den Menschen, die hier in diesem Höllengefängnis gelitten haben, Gerechtigkeit zu verschaffen", sagte Baerbock weiter.
Bei den Gesprächen mit der neuen Führung in Damaskus wollten sie und ihr französischer Kollege weitergeben, dass "Gerechtigkeit ein Eckpfeiler für die Versöhnung" in Syrien sei. In diesem Zusammenhang betonte die Ministerin, wie wichtig es sei, "die Beweise zu sichern und den Menschen Gerechtigkeit widerfahren" zu lassen.
Laut der Vereinigung der Gefangenen und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) wurden seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 etwa 30.000 Menschen im Saidnaja-Gefängnis inhaftiert. Am Tag des Sturzes von Assad seien mehr als 4000 Menschen entlassen worden. Viele Häftlinge sind tot oder bleiben vermisst.
Barrot traf in Damaskus auch Vertreter der Zivilbevölkerung, darunter Christen, die wegen der Machtübernahme durch die Islamisten besorgt sind, und Vertreter anderer Gruppen, die von Assad unterdrückt wurden. Am Vorabend hatte Barrot auch den Chef der von Kurden dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), Maslum Abdi, getroffen. Die Kurden, die von den USA unterstützt werden und jahrelang die islamistische Miliz Islamischer Staat (IS) bekämpft hatten, befürchten, ihre halb-autonome Stellung im Norden Syriens unter den neuen islamistischen Machthabern in Damaskus zu verlieren.
D.Mertens--JdB