Nach Tod von Hamas-Chef Sinwar: Westen hofft auf Waffenruhe im Gazastreifen
Nach der Tötung von Hamas-Chef Jahja Sinwar haben führende Politiker des Westens die Hoffnung auf ein baldiges Schweigen der Waffen im Gaza-Krieg bekundet. US-Präsident Joe Biden sagte bei seinem Besuch in Berlin am Freitag, der Tod Sinwars sei "eine Möglichkeit, um den Weg zum Frieden zu beschreiten". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer "konkreten Aussicht" auf einen Waffenstillstand. Ein Hamas-Vertreter warnte jedoch, seine Organisation könne "nicht eliminiert" werden.
Die israelische Armee hatte am Donnerstag mitgeteilt, sie habe den Chef der radikalislamischen Palästinenserorganisation bei einem Einsatz im südlichen Gazastreifen getötet. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am späten Donnerstagabend in einer Videoansprache zu Sinwars Tod: "Das ist zwar nicht das Ende des Krieges in Gaza, aber der Anfang vom Ende."
Die Hamas bestätigte Sinwars Tod dann am Freitagnachmittag in einer Videobotschaft. "Wir trauern um den großen Anführer, den als Märtyrer gestorbenen Bruder", sagte darin der in Katar ansässige Hamas-Vertreter Chalil al-Hayya.
Einige Stunden zuvor hatte Bassem Naim, ein hochrangiges Mitglied des Hamas-Politbüros, erklärt: "Offenbar glaubt Israel, dass das Töten unserer Anführer das Ende unserer Bewegung und des Kampfes des palästinensischen Volkes bedeutet." Die Hamas sei aber mit jedem Tod eines ihrer Anführer "stärker und beliebter" geworden.
Der 61-jährige Sinwar galt als Drahtzieher des Hamas-Großangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023, der den Gaza-Krieg ausgelöst hatte. Das israelische Militär teilte mit, Sinwar sei am Mittwoch bei einem Feuergefecht in Rafah nahe der ägyptischen Grenze getötet worden sei. Die Nachricht von seinem Tod wurde aber erst am Donnerstag nach DNA-Tests verbreitet. Seine Leiche wurde nach Polizei-Angaben für weitere Untersuchungen nach Tel Aviv gebracht.
Netanjahus Büro erklärte, Biden habe Netanjahu telefonisch zur Tötung Sinwars gratuliert. Beide Politiker seien sich einig, dass es eine Möglichkeit gebe, "die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen voranzutreiben".
Biden bezeichnete den Tod Sinwars später bei seinem Treffen mit Scholz als einen "Moment der Gerechtigkeit". Der Kanzler äußerte seinerseits die Hoffnung auf ein Abkommen zur Freilassung der nach dem Überfall auf Israel vor rund einem Jahr weiterhin von der Hamas im Gazastreifen gehaltenen Geiseln.
Auch US-Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris erklärte, nun bestehe "die Möglichkeit, den Krieg im Gazastreifen endlich zu beenden".
Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach in Brüssel von einer "Gelegenheit, die Freilassung aller Geiseln zu erreichen und den Krieg endlich zu "beenden". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, der Tod Sinwars schwäche die Hamas "signifikant".
Die iranische Vertretung bei der UNO in New York vertrat hingegen die Auffassung, durch Sinwars Tod werde der "Geist des Widerstands" in der Region gestärkt. "Er wird ein Vorbild für die Jugend und die Kinder sein, die seinen Weg zur Befreiung Palästinas fortsetzen werden", hieß es. Der Iran ist mit der Hamas eng verbündet.
Am 7. Oktober 2023 hatten Kämpfer der Hamas und anderer militanter Palästinensergruppen in mehreren Orten im Süden Israels nach israelischen Angaben mehr als 1200 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Von den Geiseln werden derzeit noch 97 im Gazastreifen festgehalten, 34 von ihnen sind nach Einschätzung der israelischen Armee tot.
Israel geht seit dem Hamas-Angriff im Oktober 2023 massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, mehr als 42.400 Menschen getötet. Die Vernichtung der Hamas ist erklärtes Kriegsziel Israels.
Israel flog in der Nacht und am Freitagmorgen erneut Angriffe im Gazastreifen, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Das israelische Militär erklärte, es treibe seinen Einsatz in Dschabalia im Norden des Palästinensergebiets voran. Das Militär teilte zudem mit, es habe zwei Angreifer getötet, die aus Jordanien südlich des Toten Meers nach Israel eingedrungen seien.
Die mit der Hamas und dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon kündigte unterdessen "den Übergang zu einer neuen und eskalierenden Phase" im Konflikt mit Israel an. Die Raketenangriffe der Hisbollah würden "von Tag zu Tag" weiter "eskalieren", dabei kämen nun auch erstmals "präzisionsgelenkte Raketen" zum Einsatz. Israel kündigte daraufhin an, eine weitere Brigade in den Norden an die Grenze zum Libanon zu verlegen.
P.Renard--JdB