Ghannouchi: Auflösung von Tunesiens Parlament durch Staatschef unzulässig
Der tunesische Parlamentspräsident Rached Ghannouchi hat die Auflösung der Abgeordnetenkammer durch Staatschef Kaïs Saïed als unzulässig angeprangert. "Aus unserer Sicht befindet sich das Parlament weiterhin in Betrieb", sagte Ghannouchi am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. "Der Präsident verfügt nicht über das verfassungsmäßige Recht, um das Parlament aufzulösen."
Saïeds Entscheidung sei "null und nichtig", sagte Ghannouchi, der die islamistisch geprägte Ennahdha-Partei anführt, die in den Jahren nach dem Arabischen Frühling die tunesische Politik dominierte.
Saïed hatte am Mittwoch die Auflösung der Abgeordnetenkammer verkündet. Bereits im Juli des vergangenen Jahres hatte der Ende 2019 gewählte Präsident unter Berufung auf einen Notstandsartikel der Verfassung die Regierung abgesetzt, das Parlament suspendiert und die Immunität der Abgeordneten aufgehoben. Seither regiert Saïed per Dekret.
Kurz vor der von Saïed verkündeten Auflösung des Parlaments hatten sich 120 Abgeordnete über die vom Staatschef verhängte Aussetzung ihrer Arbeit hinweggesetzt und in einer virtuellen Sitzung für die Rücknahme der seither von ihm angeordneten Maßnahmen gestimmt. Saïed kündigte eine Strafverfolgung der Teilnehmer der virtuellen Sitzung an.
Die Ennahdha-Partei wirft Saïed vor, einen "Putsch" gegen die demokratische Revolution zu betreiben, durch die 2011 während des Arabischen Frühlings der Langzeit-Machthaber Zine El Abidine Ben Ali gestürzt worden war.
O.Leclercq--JdB