Journal De Bruxelles - Nach Geisel-Freilassungen: Freude in Israel, Sorge wegen Waffenruhe-Verstößen

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Nach Geisel-Freilassungen: Freude in Israel, Sorge wegen Waffenruhe-Verstößen
Nach Geisel-Freilassungen: Freude in Israel, Sorge wegen Waffenruhe-Verstößen / Foto: Omar AL-QATTAA - AFP

Nach Geisel-Freilassungen: Freude in Israel, Sorge wegen Waffenruhe-Verstößen

Nach der Freilassung von vier weiteren israelischen Geiseln haben sich Israel und die Hamas am Sonntag gegenseitig Verstöße gegen das zugrundeliegende Abkommen zur Waffenruhe vorgeworfen. Zehntausende Palästinenser warteten am Sonntag an dem von Israel blockierten Netzarim-Korridor auf ihre Heimkehr in den Norden des Gazastreifens, wie die Regierung der radikalislamischen Hamas erklärte. Israel begründete die Blockade damit, dass eine bestimmte Geisel nicht freigelassen worden sei.

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Am Vortag hatte Israel die Freilassung von vier jungen Israelinnen nach gut 15-monatiger Geiselhaft gefeiert. Auf dem "Platz der Geiseln" in Tel Aviv brach nach der Freilassung der vier Frauen im Alter zwischen 19 und 20 Jahren Jubel aus. Angehörige und Freunde von Geiseln fielen sich in die Arme und weinten vor Freude.

Die vier Soldatinnen Daniella Gilboa, Karina Ariev, Liri Albag und Naama Levy waren beim Großangriff islamistischer Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 verschleppt worden, als sie auf der Militärbasis Nahal Oz an der Grenze zum Gazastreifen ihren Wehrdienst leisteten.

Nach israelischer Darstellung hätte am Samstag die israelische Zivilistin Arbel Yehud, die nach Medienberichten einen familiären Bezug zu Deutschland hat, aus der Geiselhaft freikommen müssen. Weil dies nicht geschah, warf die israelische Regierung der Hamas einen Verstoß gegen die Waffenruhe-Vereinbarung vor. Als weiteren Verstoß nannte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass die Hamas "die detaillierte Liste mit dem Status aller Geiseln" nicht vorgelegt habe.

Als Konsequenz aus der nicht erfolgten Freilassung von Yehud zog sich die israelische Armee vorerst nicht vom sogenannten Netzarim-Korridor zurück - einer sieben Kilometer langen Verbindung in der Mitte des Gazastreifens, die den Norden vom Süden des Palästinensergebiets trennt. In der Folge konnten laut Hamas-Regierung zehntausende Vertriebene nicht in ihre Heimatorte im Norden des Gazastreifens zurückkehren.

Laut Hamas-Regierung gibt es insgesamt zwischen 615.000 und 650.000 Rückkehrwillige. AFP-Journalisten in der Umgebung des Netzarim-Korridors sahen große Menschenmengen, die auf einer Küstenstraße in der Nähe der Absperrung warteten. Auf Luftbildern war zu sehen, dass sich die Menge der Wartenden in drei Richtungen hunderte Meter weit erstreckte.

Die Hamas machte Israel daher ihrerseits "für die Verzögerung bei der Umsetzung" der Waffenruhe-Vereinbarung "unter dem Vorwand" von Yehuds nicht erfolgter Freilassung verantwortlich. Dabei habe die Hamas "die Vermittler informiert, dass sie am Leben ist", und alle "notwendigen Garantien für ihre Freilassung" abgegeben, erklärte die Palästinenserorganisation. Nach Angaben aus Hamaskreisen soll Yehud im Zuge des nächsten Austauschs von Geiseln und Gefangenen kommenden Samstag freikommen.

Die am Wochenende erfolgte Freilassung von vier israelischen Geiseln missbrauchte die Hamas zu Propagandazwecken. Vermummte palästinensische Kämpfer in voller Kampfmontur führten die vier Frauen am Samstag zunächst einer Menschenmenge in der Stadt Gaza vor. Auf einer Bühne standen sie umringt von bewaffneten Kämpfern vor einem riesigen Propaganda-Plakat. Die in Militärkleidung gekleideten Frauen lächelten aber, winkten von der Bühne und streckten ihre Daumen nach oben.

Anschließend wurden die Geiseln dem Internationalen Roten Kreuz und von diesem der israelischen Armee übergeben. Nach ihrer Rückkehr nach Israel trafen die vier Frauen zunächst ihre Eltern. Anschließend wurden sie zur Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht. Ärzte nannten ihren Gesundheitszustand "stabil".

"Dies ist ein sehr glücklicher Moment, auf den wir lange gewartet haben", sagte Netanjahu in einem Telefonat mit den Eltern von Liri Albag. Die 19-Jährige dankte in einem Video den Israelis, die "unsere Familien unterstützt und ihnen Trost gespendet haben" sowie den israelischen Soldaten, "die alles für uns getan haben".

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, die Bundesregierung freue sich, allerdings müssten auch die übrigen "Frauen und Männer in Geiselhaft" freikommen. Die US-Regierung kündigte an, zusammen mit Israel "auf die Freilassung aller verbleibenden Geiseln hinzuarbeiten".

Im Austausch für die vier israelischen Geiseln kamen 200 palästinensische Häftlinge aus zwei israelischen Gefängnissen frei. In Ramallah im besetzten Westjordanland versammelten sich tausende Menschen, um die entlassenen Palästinenser zu begrüßen.

Es war der zweite Gefangenenaustausch im Rahmen des Mitte Januar abgeschlossenen Waffenruhe-Abkommens zwischen Israel und der Hamas. Vor einer Woche waren bereits drei israelische Geiseln, alles junge Zivilistinnen, im Austausch für palästinensische Gefangene freigekommen. Emily Damari, Doron Steinbrecher und Romi Gonen wurden am Sonntag aus dem Sheba-Krankenhaus entlassen. Die Klinik machte keine Angaben zu ihrem Zustand. Die vier Frauen würden "nach Bedarf weiterbehandelt".

Insgesamt sollen sich im Gazastreifen nun noch 87 Verschleppte aus Israel befinden, 34 von ihnen sind nach Einschätzung der israelischen Armee bereits tot. Unter den Geiseln ist nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt auch eine "niedrige zweistellige Zahl" von Menschen mit "Deutschland-Bezug".

In der ersten sechswöchigen Phase des Abkommens sollen noch 26 weitere israelische Geiseln freigelassen werden. Parallel dazu sollen die Hilfslieferungen in den Gazastreifen verstärkt und nach ägyptischen Angaben insgesamt etwa 1900 palästinensische Häftlinge freikommen.

R.Cornelis--JdB